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Gemeinsam stark: Warum eigentlich Erlebnispädagogik?


HSP STEUER Hannover, HSP STEUER Hamburg, HSP STEUER Schloss Diedersdorf und unser Netzwerkpartner sauer+windhorst haben sich wie berichtet dazu entschlossen, die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung “Haus am Bach” durch monatliche Spenden finanziell zu unterstützen und Erlebnispädagogik zu ermöglichen. Was das genau ist, erklärt Leiter Ingo Schulz.

Wir veröf­fentlichen regelmäßig Berichte von den Aktio­nen der Kinder und Jugendlichen im Rah­men der Erleb­nis­päd­a­gogik. Wir danken Leit­er Ingo Schulz für den Bericht über die Arbeit und Moti­va­tion der Mitar­beit­er im “Haus am Bach” und wün­schen viel Spaß beim Lesen!


Die Einrichtung

Der Vere­in Wich­ern­s­tift beste­ht aus mehreren unab­hängig voneinan­der arbei­t­en­den gGmbHs mit den Teil­bere­ichen Schule, Klinik, Altenhil­fe und Jugendhilfe.

Die Jugend­hil­fe ist unterteilt in die Wohn- und Tages­grup­pen gGmbH mit mehreren voll­sta­tionären Wohn­grup­pen sowie Tages­grup­pen und der Jugend­hil­fe gGmbH mit Voll- und Teil­sta­tionären sowie ambu­lanten Angeboten.

Die Aufgabe

Die Wich­ern­s­tift Jugend­hil­fe arbeit­et mit dem Auf­trag jun­gen Men­schen und deren Fam­i­lien in schwieri­gen Lebensla­gen Hil­fen zur Erziehung und Ent­fal­tung der Per­sön­lichkeit im Rah­men ihrer indi­vidu­ellen Entwick­lungsmöglichkeit­en zu geben. Gemein­sam mit den Ange­höri­gen wird ver­sucht Zukun­ftschan­cen und Lebensper­spek­tiv­en der Betreuten zu verbessern und dabei die Fam­i­lien in ihrer Erziehungsver­ant­wor­tung zu stärken.

Die Arbeit hat ihre Wurzeln in der Heilpäd­a­gogik, von daher ist das Betreu­ungskonzept ganzheitlich aus­gerichtet. Die Erziehung umfasst den ganzen Men­schen und fördert ihn in seinen emo­tionalen, sozialen, kreativ­en und kog­ni­tiv­en Bedürfnis­sen und Fähigkeit­en. Eine wesentliche Beach­tung find­et der Kon­text, in dem sich die Kinder und Jugendlichen bewegen.

Mit Hil­fe der päd­a­gogis­chen und ther­a­peutis­chen Fachkräfte wer­den die Kinder, Jugendliche und deren Fam­i­lien sowie junge Volljährige bei der Aufar­beitung von Entwick­lungs­beein­träch­ti­gun­gen und Ver­hal­tensauf­fäl­ligkeit­en gefördert und unter­stützt. Die Bear­beitung von Lern- und Leis­tungsstörun­gen und daraus resul­tierende Schul- und Aus­bil­dungss­chwierigkeit­en sind Inhalte der Betreu­ungsar­beit. Die Selb­st­ständigkeit der Kinder und Jugendlichen, die Verbesserung der Sozialkom­pe­tenz und Steigerung ihrer Leis­tungs­fähigkeit, sowie die Ver­mit­tlung ein­er Wer­to­ri­en­tierung gehören zu den Zie­len der Betreuungsarbeit.

Ziel und Ausrichtung der Gruppe

Das Haus am Bach ist eine gemis­chte Gruppe und arbeit­et mit Jun­gen und Mäd­chen im Alter zwis­chen 6 und 18 Jahren. Mehr als 30 % der Betreuten wer­den über das 18. Leben­s­jahr hin­aus betreut und absolvieren eine Beruf­saus­bil­dung oder ver­gle­ich­bare Maß­nahme zur Teil­habe an der Arbeitswelt. Betreu­ungszeit­en von mehr als fünf Jahren sind keine Sel­tenheit. Die über­wiegende Zahl der Betreuten lei­det unter trau­ma­tis­chen Erleb­nis­sen mit zum Teil gravieren­den Traumafolgeerkrankungen.

Neben ein­er strin­gen­ten Struk­tur und klar definierten Tagesabläufen im Haus weisen die Mitar­beit­er ein hohes Maß an Iden­ti­fika­tion mit der Gruppe auf. Die daraus resul­tierende Sicher­heit bei den Kindern macht eine fordernde und gren­z­er­fahrende Erleb­nis­päd­a­gogik möglich. Zu den regelmäßi­gen erleb­nis­päd­a­gogis­chen Maß­nah­men gehören Berg­steigen und Klet­tern bis zum IV Grad sowie Geräte­tauchen und Kanu­touren auf hohem Leis­tungs- und Anforderungsniveau.

Spezialisierung der Gruppe

Nach mein­er Über­nahme der Wohn­gruppe 2004 hat sich schnell her­aus­gestellt, dass die bis dato durchge­führten erleb­nis­päd­a­gogis­chen Maß­nah­men (Freizeit­park, Ferien­haus in Dan­gast, etc.) keine nach­halti­gen Auswirkun­gen auf die Kinder und Jugendlichen hat­ten. Es stellte sich die Frage wie wir die Maß­nah­men effek­tiv­er und nach­haltiger ins­beson­dere mit trau­ma­tisierten Kindern und Jugendlichen nutzen kön­nen. Es wurde schnell deut­lich, dass die Erleb­nis­päd­a­gogik fordern­der und in der Erfahrung exis­ten­tieller wer­den musste. Einige Jahre exper­i­men­tierten wir mit ver­schiede­nen Ange­boten (Tauchen, Kanu­touren, Berg­steigen, etc.). Es stellte sich her­aus, dass wir mit mehrtägi­gen Gebirgs­touren gute Erfolge erzie­len können.

Projekt Erlebnispädagogik in den Bergen mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen:

Der Grundgedanke

Viele unser­er Betreuten haben oft mas­sive trau­ma­tis­che Erleb­nisse auf­grund von sex­ueller und kör­per­lich­er Gewalt, Ver­nach­läs­si­gung, häu­fig wech­sel­nde Bezugsper­so­n­en, psy­chisch kranke Eltern/ Pflegeel­tern. Den­noch gelingt es uns meis­tens eine tragfähige Beziehung zu unseren Betreuten aufzubauen. Häu­fig entwick­eln sich „elternähn­liche“ Struk­turen die den Betreuten das Gefühl ein­er Fam­i­lie geben. Es bildet sich aber auch eine gewisse Kom­fort­zone bei den Kindern und Jugendlichen aus. Entwick­lun­gen stag­nierten bzw. bewegten sich nur noch klein­schrit­tig weit­er. Neue Her­aus­forderun­gen mussten gefun­den wer­den die stressähn­liche Sit­u­a­tio­nen her­vor­rufen. Die Erfahrung von Selb­st­wirk­samkeit und das Erler­nen von Affek­treg­ulierung sollte inten­siviert wer­den. Wir woll­ten eine Gegen­er­fahrung zu den erlebten exis­ten­ziellen Bedro­hun­gen und der Ohn­macht resul­tierend aus der Trau­ma­tisierung schaf­fen, um ein Gefühl der Sicher­heit und Selb­st­wirk­samkeit zu entwick­eln. Durch das angeleit­ete Meis­tern von schwieri­gen, für einige auch exis­ten­ziellen Her­aus­forderun­gen, soll­ten die Sicher­heit und die Selb­st­wirk­samkeit inten­siv­er erlebt wer­den, als es im Grup­pe­nall­t­ag möglich wäre. Als „Spielfeld“ für diese gewagte und in der Durch­führung nicht ganz unge­fährliche Erleb­nis­päd­a­gogik wurde das Klet­tern im Gebirge aus­gewählt. Natür­lich bieten auch andere erleb­nis­päd­a­gogis­che Ange­bote die Möglichkeit Ver­trauen zu the­ma­tisieren. Das Klet­tern in der Natur unter­schei­det sich jedoch sehr deut­lich von anderen Ange­boten. Es wird sehr klar die Ver­ant­wor­tung für das eigene Leben in die Hände ander­er gegeben. Auch die Über­nahme der „Lebensver­ant­wor­tung“ für den Anderen ist eine große Her­aus­forderung. Uns war auch wichtig, die Berg­er­fahrun­gen der Mitar­beit­er mit ein­fließen zu lassen und durch Weit­er­bil­dun­gen ver­tiefen zu können.

Ziele

Grund­sät­zlich ist die weit­ere Entwick­lungs­förderung der Kinder und Jugendlichen das Ziel. Im Einzel­nen sind die klas­sis­chen Zuschrei­bun­gen wie Kam­er­ad­schaft, Wag­nis, Durch­hal­tewil­len, Fit­ness, Agieren in der Gemein­schaft, emo­tionalen und kog­ni­tiv­er Zugang zu Natur­räu­men, aber auch die innere Klärung zum The­ma Risiko, Wag­nis, Gefahr und der Umgang mit Unsicher­heit und Risiko, sowie die Koop­er­a­tion mit Anderen und die Bewäl­ti­gung von Stress immer noch aktuell. Aber auch der entwick­lungspsy­chol­o­gis­che Zugang wie das Ler­nen von Hand­lungskom­pe­ten­zen, Erhöhen der Frus­tra­tionstol­er­anz, sowie das Erleben der Selb­st­wirk­samkeit und intrin­sis­che Moti­va­tion find­en beim Berg­steigen ihren Wiederhall.

Gewünschte Ergebnisse

In ver­schiede­nen empirischen Stu­di­en kon­nte die Wirk­samkeit von erleb­nis­päd­a­gogis­chen und im Beson­deren berg­be­zo­gene Maß­nah­men aufgezeigt wer­den. So führen die Maß­nah­men zum Beispiel zu weniger Aggres­sio­nen, größer­er emo­tionaler Sta­bil­ität, bessere Selb­streg­u­la­tion und Frus­tra­tionstol­er­anz, höher­er sozialer Kom­pe­ten­zen, höher­er Selb­st­wirk­samkeit, gesteigertem Ver­trauen, verbessertes Selb­st­wert­ge­fühl, sowie ver­ringerte Depres­siv­ität und Ängstlichkeit. (Streicher/ Harder/Netzer, 2015:11)

Warum Erlebnispädagogik in den Bergen

Die Beson­der­heit­en der Erleb­nis­päd­a­gogik in den Bergen liegt in der Inten­sität der Gefüh­le und die Dauer der Anforderung. Das „Aussteigen“ aus der Aktion oder der inner­liche Rück­zug ist nicht ohne weit­eres möglich und hat unmit­tel­baren Kon­se­quen­zen (Abseilen, Biwakieren, etc.). Man lebt dicht an bzw. in der Natur und fördert die ökol­o­gis­che Sen­si­bil­isierung. Auch die beson­dere Wirkung der Berge durch Mythen, Bedro­hung, Reli­gion hin­ter­lassen nach­haltige Ein­drücke. Die Selb­stver­ant­wor­tung für das eigene Leben oder das der anderen beim Abseilen zu haben ist mit Sicher­heit eine Gren­z­er­fahrung die einen bleiben­den Ein­druck hinterlässt.

Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen

Natür­lich bedarf es ein­er umfassenden Vor­bere­itung der Teil­nehmer in allen berg- und natur­rel­e­van­ten The­men. Die Aus­bil­dung in erste Hil­fe, der Umgang mit Karte, Kom­pass und GPS-Ori­en­tierung, Wet­terkunde und Leben in der Natur gehören genau­so dazu wie ein umfassendes Fit­nesstrain­ing, Arbeit­en auf der Slack­line, Seilaus­bil­dung und Knotenkunde. Das Beschaffen/ Nutzen von bergtauglich­er Aus­rüs­tung ist selb­stver­ständlich. Kleinere Ein­stiegs­touren z. B. im Harz schaf­fen das nötige Ver­trauen der Kinder und Jugendlichen für die größeren Touren.

Anforderungen an die teilnehmenden Mitarbeiter

Neben ein­er sportlichen Eig­nung macht es Sinn eine erleb­nis­päd­a­gogis­che Aus­bil­dung zu haben. Aber auch grundle­gende Ken­nt­nisse über die Abläufe und Gefahren bei Touren im Gebirge oder Hochge­birge muss man sich aneignen. Neben dem Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein muss aber eine über­schaubare Risikobere­itschaft vorhan­den sein. Pla­nungskom­pe­ten­zen sowie die Fähigkeit der Einzel- und Grup­pen­analyse ins­beson­dere in Bezug auf trau­ma­tisierte Kinder und Jugendliche (Trig­ger erken­nen, Kör­per­sprache und Kör­per­reak­tion lesen kön­nen) sind elementar.


Bei Fra­gen sprechen Sie uns gerne an.

Alle Veröf­fentlichun­gen find­en mit aus­drück­lich­er Genehmi­gung der Betrof­fe­nen statt.

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